Abiturfeier
Rede des Schulleiters zur Verabschiedung der Abiturientia 2017
Ehrwürdige Schwestern, sehr geehrte Gäste unseres Festakts, lieber Herr Wasser,
liebe Eltern, Angehörige und Freunde unserer Abiturientinnen,
liebe Kolleginnen, Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Schule,
liebe Abiturientia 2017!
Erlauben Sie, dass ich mit dem Hinweis auf eine „Jubiläums-Ausgabe“ beginne. Sie, liebe Abiturientinnen, sind in unserer Schulgeschichte ein besonderer Jahrgang. Wie unsere historischen Recherchen ergaben, werden mit Ihnen heute in Hersel zum 100. Mal junge Frauen das Zeugnis der Allgemeinen Hochschulreife, das Abiturzeugnis, erhalten. Bereits 1914, in jenem Jahr, in dem der verhängnisvolle und unseren Kontinent mit vielen Schrecken erfüllende Erste Weltkrieg ausbrach, erhielt die Ursulinenschule Hersel die „Berechtigung zur Abhaltung der Reifeprüfung“, welche dann im Folgejahr wirksam wurde. Diese Berechtigung ist für eine Zeit, in der es in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern das allgemeine Frauenwahlrecht noch nicht gab, sehr bemerkenswert. In den Anfangsjahren waren es nicht sehr viele Absolventinnen, die ihr Reifezeugnis erhielten. Wie uns die „Jahresberichte der höheren Lehranstalten in Preußen“ aus dem Schuljahr 1927/28 verraten, entwickelte sich der Drang zum Abi recht langsam, in jenem Jahr 1928 z. B. erhielten vier Schülerinnen das Reifezeugnis des Oberlyzeums. Während der Schrecken des Zweiten Weltkrieges wurde die Schule 1942 zwangsweise geschlossen, und so gab es in den Jahren 1943, 1944 und 1945 keine Abiturprüfungen mehr. Am Ursulatag 1945 wurde den Herseler Ursulinen die „Erlaubnis zur Wiederaufnahme des regulären Schulunterrichts als Mädchengymnasium“ erteilt. Und so verlief die Schulgeschichte stetig weiter bis heute – und nun sitzen Sie hier – unsere 100. – unser Jubiläumsjahrgang!
Nun soll ich Ihr Motto untersuchen, ausleuchten und kommentieren? - ABIKini 2017 – 12 Jahre Kurvendiskussion - Was für ein Thema zum Philosophieren! Es wird wohl jedes Jahr etwas schwieriger… Was musst‘ ich diesmal lange grübeln…
Das erste Wort Ihres Mottos „ABIKini“ ist bereits eine jener typisch deutschen Wort-Kompositionen, in denen semantische Vieldeutigkeit bewusst und implizit angelegt ist: „Abi“ – das ist ja klar, das weiß und will jeder, aber „Kini“, das klingt ja fast a bisserl Bayrisch: „Kini“ – das ist doch „die Majestät“; “Kini“- das ist der mit den herrlichen, ach so teuren Schlössern. „Kini?“ – Ich schaue nach, blättere in „WiKi-Obaboarisch“: Dort steht: „Kini – „da hechste monarschiche Herrschatitl.- nochm Kaisa“. Na, das passt wohl nicht. Nicht auf Sie, liebe Abiturientinnen 2017.
Ich versuch’s ‘mal mit dem zweiten Teil Ihres Mottos: „12 Jahre Kurvendiskussion“ – Na klar: die Schule ist ein kurviges Gelände, da geht’s nicht immer gerade zu, manchmal muss man Umwege gehen, es geht auch schon ’mal auf und ab, ja, es gibt viele Kurven, ständig muss man abbiegen, und zum Thema „Diskussion“ – zu diskutieren habt Ihr auch immer ‘was, oder … ?
Aber - Ernst beiseite – lassen Sie uns gemeinsam ein wenig in Erinnerung rufen, was so alles in zwölf Schuljahren zu diskutieren gibt:
Zwölf Schuljahre – das bedeutet etwa 2 ½ Tausend mal die Tasche packen, den Schulweg meistern und schließlich, nach dem Schultag, ebenso häufig den Heimweg finden. Nur manchmal, da gab es Übernachtungen auswärts: vielleicht zum Kennenlernen hier in der Turnhalle – bei Klassenfahrten in der Jugendherberge, oder bei Exerzitien oder Austauschfahrten und Studienfahrten im Ausland.
Zwölf Schuljahre – das bedeutet etwa 15 Tausend Unterrichtsstunden, darin ungezählte Fragen, Arbeitsimpulse, Aufgaben – die ständige Suche nach Lösungen auf so vielen Feldern; das Lernen von Vokabeln in mehreren Sprachen, das Anwenden von Formeln, Systematiken, das Beherrschen von Fachbegriffen in so vielen Disziplinen. Sie erwerben Kompetenzen, erweitern Ihr Wissen und erlangen heute schließlich die Freiheit, sich mit dem Erlernten selbständig andere Gebiete, neue Horizonte und neue Welten zu erschließen.
Zwölf Schuljahre, das bedeutet auch das stetige Miteinander mit vielen Mitschülerinnen, das Arbeiten in den großen Gruppen – ob in der Klasse oder im Kurs. Dies erfordert viel Disziplin, das Einhalten von Regeln, das Übernehmen von Verantwortung für Andere, und immer wieder auch das Unterordnen des Individuellen unter die Erfordernisse der Gemeinschaft. Gerade diese schulische Ralley durch so viele Kurven dürfte Sie nun für Ihr Leben prägen.
Zwölf Schuljahre – das bedeutet auch, dass viele für Ihre schulische Bildung Verantwortung übernommen haben: Zunächst Ihre Lehrerinnen und Lehrer. Heute darf ich allen Lehrkräften besonders danken, die Sie an unserer Schule unterrichtet haben – in der Unter- und Mittelstufe (bei einer ganzen Reihe auch der Realschule) und schließlich in der gymnasialen Oberstufe; dass sie Sie für ihre Fächer zu begeistern wussten; dass sie Ihnen Grundlagen erklärten und Detailkenntnisse näherbrachten, dass sie das Wesentliche, aber auch das Spezielle, das Alltägliche-Normale und auch das Außergewöhnliche vermittelten. Ich bin gewiss, dass Sie, liebe Abiturientinnen, dabei manche Extrakurve durchmessen haben und dass Sie so durch das engagierte, motivierende, fordernde und fördernde Handeln unserer Lehrkräfte für Ihr Leben geprägt wurden.
Besonders danke ich den Lehrerinnen und Lehrern, die Sie zum Schluss durch die Qualifikationen und die Prüfungen des Abiturs gelotst haben: ihre Stufenlehrerinnen (zuvörderst die unermüdliche Frau Rathmann; dann noch neu ins Team gerückt: Frau Knapowski; und zuvor Frau Zimmermann). – Besonderer Dank gebührt einem Meister aller Spielregeln und Punkte, dem Mann, der alle Serpentinen im Auf und Ab der Oberstufe berechnet, der die Planungen mit dem CoJoBo abstimmt und für den die Kurvendiskussionen dieses Abi-Jahrgangs den letzten großen schulische Endspurt und das Einbiegen auf die berufliche Zielgerade bedeuten: unseren Oberstufenkoordinator Herrn Herwartz.
Liebe Abiturientinnen, liebe Festgäste, Sie bemerken: wir blicken zurück und betreiben dabei ein wenig Erinnerungskultur. Aber als Schule möchten wir Sie natürlich auf eine gelingende Zukunft vorbereiten, auf gutes Gestalten in der Welt des digitalen Zeitalters. Dies tun wir, indem wir uns in vielen Schulfächern an die aktuellsten Themen heranwagen und uns den Fragen unserer Zeit stellen. In Hersel wird dies sinnfällig durch die baulichen Renovierungen und Neubauten, auch durch viele neue Medien, die heute im schulischen Unterricht immer mehr eingesetzt werden.
Bei allen Kurven, die zu diskutieren sind, geht es uns darum, Sie, liebe Abiturientinnen, stark zu machen für Ihren weiteren Lebensweg. Ich wiederhole hier gerne die Formel unseres Schulprogramms: „Mädchen stark machen!“ Hierfür gibt es viele gute Gründe. Das Ziel ist klar: Wir wollen, dass Sie starke Frauen werden. Unsere Gesellschaft, unser Staat, ja die Kirche benötigen Frauen, die sich auf dem festen Fundament des Christentums bewegen und die sich mit klugen Überzeugungen einbringen – und zwar wahrhaftig und geduldig. Dies gilt regional, national, aber auch international.
Liebe Festversammlung, lassen Sie mich noch eine besondere Kurve kratzen, in die Welt des Geistes abbiegen; gestatten Sie, dass ich in zwei Beispielen auf die Literatur und ihre besonderen Perspektiven hinweise. Ich hoffe, dass unsere schöne Bibliothek Ihnen manche Anregung zum Lesen gegeben hat, und ich ermuntere Sie, sich immer wieder den Reflexionen des menschlichen Lebens zu öffnen, wie sie die Literatur so wunderbar spiegelt.
Der 75-jährige amerikanische Liedermacher, Lyriker und Pop-Künstler Bob Dylan hat zu Beginn dieses Monats in seiner gerade noch rechtzeitig präsentierten Nobelpreis-Vorlesung betont, dass eine Reihe von Büchern ihm immer wieder eng verbunden blieb und dass er sie alle durch die Schule kennenlernte. Er beschreibt, wie sehr ihn diese Bücher beim Schreiben seiner Songs beeinflussten, wie sich die Themen dieser Bücher in vielen seiner Lieder widerspiegeln, wissentlich oder unbeabsichtigt – in jedem Fall fundamentale Themen.
Bob Dylan: “…I had something else as well. I had principals and sensibilities and an informed view of the world… Learned it all in grammar school… Typical grammar school reading that gave you a way of looking at life, an understanding of human nature, and a standard to measure things by. I took all that with me when I started composing lyrics. And these themes from those books works their way into many of my songs, either knowingly or unintentionally. I wanted to write songs unlike anything anybody ever heard, and these themes were fundamental.”
Ein zweites aktuelles literarisches Beispiel liefert uns eine junge Frau, die bemerkenswerte Texte im Stil des Poetry-Slam verfasst hat: Julia Engelmann. Viele von Ihnen denken jetzt vielleicht spontan an ihren Titel „One day – Eines Tages, Baby, werden wir alt sein“. Ich möchte heute aus einem anderen Text von Julia Engelmann zitieren, einem Poetry-Slam, der sich an ihre (Ihre) Eltern wendet und in dem eine wunderbar liebevolle, ja vertrauensvolle Sicht der Tochter zu den Eltern spürbar wird. Die junge Autorin umfasst dabei die Perspektive des jungen Mädchens in einer Zeitspanne, die der Gymnasialzeit einer Schülerin nahekommt. Sie startet als 9-Jährige und endet als 19-Jährige, und immer wieder findet sie einen emotionalen Refrain. Ich zitiere einen Auszug:
„Julia Engelmann, Für meine Eltern
Ich will euch zwei Sachen sagen:
Erstens: / Ich als vollmündiger, volljähriger Bürger dieses Landes / und freier Mensch räume mein Zimmer erst genau / dann auf, wenn mir bock- und impulsmäßig danach ist.
Zweitens: Ihr seid mein Ursprung, mein Vertrauen,
meine Insel und mein Schatz,
mein Mund formt euer Lachen,
mein Herz schlägt euren Takt.
… Ihr seid mein Beweis, dass Liebe mehr als Geld zählt, / seid der Rahmen für mein Weltbild, / alles, was für mich als Held gilt.
Ihr gebt mir Halt, ohne mich festzuhalten, schafft es, / wenn ich’s nicht kann, mich auszuhalten, / würdet nichts tun, mich je aufzuhalten, / eher bringt ihr mich dorthin.
…Und mir kann nichts passieren, / weil ich weiß, ihr seid noch hier, / ich gehör zu euch, und ihr gehört zu mir.
Ihr seid mein Ursprung, mein Vertrauen,
meine Insel und mein Schatz,
mein Mund formt euer Lachen,
mein Herz schlägt euren Takt."
Liebe Abiturientinnen,
als unserem 100. Abiturientinnen-Jahrgang wünsche ich Ihnen Erfolg auf Ihren Wegen, behalten Sie die Ursulinenschule Hersel in guter Erinnerung, handeln Sie klug, gerecht, tolerant, sozial und verantwortungsbewusst! Bewahren Sie sich das Ur-Vertrauen in Ihre Familien!
Und nochmals zu Ihrem Motto: Dessen tiefere Bedeutung zu ergründen, erscheint so schwierig. Ich jedenfalls bin froh, dass das Motto endlich wieder einmal einen mathematischen Bezug aufweist…
Wir wüssten gerne, wohin es Sie nach dem Aufenthalt an Deck unseres Ursulinenschiffes so treibt – halten Sie Kontakt! Ich gratuliere Ihnen von Herzen, feiern Sie fröhlich! Alles Gute, vor allem Gottes Segen!
Dr. Karl Kühling, OStD i.K.
Geschenk der Abiturientinnen an ihre Schule
Zum Abschluss der Abiturfeier in der Herseler Rheinhalle überreichten die Abiturientinnen Katharina Krings u. Emma Teves Schulleiter Dr. Kühling einen Geldbetrag für die Grüngestaltung des Schulgeländes und ein Bild mit dem in Holz gestalteten Schulschiff.
Die Schulgemeinschaft dankt den Abiturientinnen hierfür und hofft auf ein Wiedersehen in der USH!