Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Gedanken des Schulleiters zum 27. Januar 2019

Der Sonntag 27. Januar 2019 ist für uns in der Erzbischöflichen Ursulinenschule Hersel eigentlich das Patrozinium: der Gedenktag der Heiligen Angela Merici, die vor fast 500 Jahren die Ordensgemeinschaft der Ursulinen ins Leben rief und an deren segensreiches Wirken wir uns gerne und voller Dankbarkeit erinnern. Sie verstarb am 27. Januar 1540, also vor 479 Jahren. Unsere Erinnerungskultur ist im Hinblick auf Angela Merici vielfältig und wir sehen in dieser Ordensgründerin eine bedeutsame Frau, bedeutsam für die Schulgeschichte, bedeutsam für die Förderung von Mädchen und jungen Frauen – was bis heute nachwirkt –, und in ihrer Glaubens- und Gebetshaltung für uns bis heute bedeutsam als Vorbild und Orientierung. Wir werden sie ehren und auch in den nächsten Generationen die Erinnerung an sie wachhalten!

Durch eine Proklamation hat der damalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog 1996 den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland eingeführt und gesetzlich verankert. Damit erinnerte Roman Herzog an den 27. Januar 1945, an dem die fürchterlichen Konzentrationslager in Auschwitz und das Vernichtungslager in Auschwitz-Birkenau von Soldaten der Roten Armee befreit worden waren. Für uns gibt es  sehr gute Gründe, unsere Erinnerungskultur auch auf dieses jüngere Datum zu lenken.

 

Warum so viel Beachtung der Geschichte, warum der stete Rückblick, warum auch finstere Erinnerungen wachhalten, wo wir unsere Schülerinnen doch auf die Zukunft hin ausbilden und lebenstüchtig machen sollen, eine Zukunft voller Hoffnung und Freude?

Einige aktuelle Ereignisse und Befindlichkeiten gebe Anlass zu großer Sorge.

Es ist erschreckend zu lesen, dass heute, im Januar 2019, die engagierte jüdische Mitbürgerin Charlotte Knobloch in München von rechtsradikalen Kräften mit Morddrohungen überzogen wird, weil sie sich mutig und mit klaren Worten öffentlich gegen die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen gewehrt hat. Sie hielt die Gedenkrede bei der parlamentarischen Feier zum 27. Januar vor dem bayrischen Landtag und sprach die Methodik der politischen Zersetzung offen an!

Einige Befindlichkeiten in der öffentlichen Diskussion aus dem Jahr 2018 kommen mir in den Sinn: Respektlose Rapper trällern merkwürdig würdelos, ihre Sprüche klopfend und verharmlosen die Schrecken von Auschwitz; das öffentliche Zeigen von Nazi-Symbolen kommt bei Halbstarken in Mode, es wird instrumentalisiert, feige geleugnet und relativiert, obwohl es Straftatbestand ist; die NS-Gedenkstätte in der Hauptstadt wird von einem Parteianführer ins Lächerliche gezogen und verunglimpft; ein anderer Parteifunktionär marginalisiert und relativiert Hitler und sein Terror-Regime als  „Vogelschiss der deutschen Geschichte“, er wird aber weiterhin in den Talkshows willkommen geheißen (und die Rundfunkräte weisen alle Verantwortung von sich und empfinden das als „demokratisch“).

Dies alles ist ungeheuerlich und muss uns wachrütteln. Es muss uns an die Pflicht erinnern, aus der Geschichte zu lernen und die jüngeren Generationen lernen zu lassen, indem wir sie auf immer wieder neue Art und Weise mit der Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen konfrontieren, ihnen die ideologischen Argumentationen einer ausgrenzenden und asozial ausgerichteten Clique vor Augen zu halten, die immer frecher meint, die Öffentlichkeit mit abstrusen ausgrenzenden und populistischen Thesen bevormunden zu können. Wir haben die Pflicht, jetzt innezuhalten, aber dann aber auch zu reagieren: unsere Schülerinnen sollen mündige und kritischen Bürgerinnen werden, die sich aus freiem Urteil dem Konsens des „Nie wieder!“, der in Deutschland über viele Jahrzehnte hin entwickelt wurde, anschließen können. Dieses „Nie wieder!“ muss in seiner Komplexität begründet werden, die oft mühsame Veranschaulichung der Grausamkeiten von Diktatur, Terror und Ideologie müssen Thema bleiben.

Welche Aufgabe und welche Chancen haben wir dazu in der Schule?

Drei Begebenheiten aus unserem Schulgeschehen möchte ich anführen:

Zunächst bin ich dankbar, dass wir Zeitzeugen zu Wort kommen lassen dürfen, dankbar gegenüber denen, die solche Begegnungen ermöglichen (wie der Kölner Diözesanrat), den Kolleginnen und Kollegen, die unsere Schülerinnen darauf vorbereiten. Der Vortrag von Frau Dr. Anita Lasker-Wallfisch im vergangenen Sommer war eine Sternstunde der sogenannten oral history in unserer Schule. Einem großen Auditorium im Aegidiussaal berichtete die alte Dame energisch und authentisch von den Abgründen der NS-Ära, die das Zusammenleben einer Familie zerstörten, indem sie alle Mitglieder auseinanderrissen, deportierten und die meisten ermordeten. Als eine der wenigen Überlebenden aus dem Mädchenorchester hat Frau Dr. Lasker-Wallfisch uns mit den Berichten aus ihrer Biographie zutiefst beeindruckt und Beispiele aufgezeigt für die brutale Systematik, mit der Millionen Menschen zu Opfern gemacht wurde. Mit einer Abordnung von Schülerinnen durften wir an der Ehrung von Frau Lasker-Wallfisch, die Ministerpräsident Laschet für das Land NRW vornahm, teilnehmen. Die Begegnung mit dieser Zeitzeugin hat mich zutiefst berührt.

Als ich sie im Anschluss nach ihrer Einschätzung zu den aufkeimenden rechtsradikalen Tendenzen im öffentlichen Sprachgebrauch und  in der deutschen Parteienlandschaft befragte, sagte sie, dass sie dies nicht so sehr verwundere. Einen braunen Bodensatz von etwa 15 Prozent (auch in anderen europäischen Ländern) habe sie stets vermutet; bislang hätten sich diese Leute allerdings – vor allem in Deutschland – nicht in die Öffentlichkeit getraut. Jetzt aber ließen manche die Masken fallen. Das Erstarken rechter Kräfte greife in ganz Europa um sich. Frau Dr. Lasker-Wallfisch lobte ausdrücklich die deutsche Erinnerungskultur, die sich die Aufarbeitung der barbarischen NS-Verbrechen zur Aufgabe gemacht habe, und ich versprach ihr, dass wir an der USH auch zukünftig diese Erinnerungskultur besonders pflegen wollen.

Als im Dezember des vergangenen Jahres der Kölner Künstler Gunter Demnig auf der Herseler Rheinstraße einen weiteren seiner Stolpersteine in Erinnerung an die Familie des Metzgers Hermann Schmitz und die Familie Salomon auf dem Bürgersteig verlegte, traf sich auf unserer Straße ein Kreis interessierter Mitbürger. An jenem kalten, aber sonnigen Dezembermorgen erfuhr ich Einzelheiten über die Geschichte der Juden, die in den 30-er Jahren des 20. Jahrhunderts in Bornheim lebten. Bürgermeister Wolfgang Henseler berichtete, dass die jüdische Gemeinde 110 Mitbürger umfasste, von denen 70 schließlich Opfer des NS-Regimes wurden. Erschrocken hörte ich, mit welchen Widerständen der Künstler Demnig und andere, die mit solchen Stolpersteinen an jeweils  einen jüdischen Mitbürger erinnern wollen, bei ihren Aktionen zu kämpfen haben. Umso bemerkenswerter empfinde ich die wiederholte Initiative des Bornheimer Bürgermeisters für die Verlegung neuer Gedenksteine. Ergreifend war es zu erleben, wie junge Menschen aus einem Bornheimer Kulturprojekt bei dieser Gelegenheit die Einzelschicksale jüdischer Mitbürger in einer historischen Performance in Erinnerung riefen. Es tat auch gut, bei der mit Klezmer-Musik umrahmten Gedenkstunde bekannte Gesichter aus der Schüler- und Elternschaft unserer Schule anzutreffen.

 

Und noch ein besonderer Akzent des Erinnerns sei angeführt: Seit gestern sind 25 Schülerinnen aus der Oberstufe unseres Gymnasiums mit Frau Lehn und Frau Wolf-Niedzielska zu einer Fahrt nach Auschwitz und Krakau aufgebrochen. Gemäß dem Auftrag „Nie mehr vergessen“ wagen sie den schwierigen Besuch der Gedenkstätte Auschwitz und des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Sie werden die Gedenkfeierlichkeiten zum 74. Jahrestag der Befreiung des Lagers Auschwitz-Birkenau verfolgen und anschließend in Oṡwiçim auf den Spuren jüdischen Lebens viele Eindrücke sammeln. Besonders danken wir der Konrad-Adenauer-Stiftung, die das Programm dieser Reise ermöglicht hat.

 

Nicht nur heute, am 27. Januar 2019, gilt das „Nie wieder!“ Die Erinnerung an Schreckensherrschaft und Holocaust, das Benennen und Ablehnen der Methodik von Ausgrenzung und Menschenverachtung muss nachhaltig lebendig bleiben. Heute bin ich sehr gespannt auf die Reaktionen und Berichte unserer Schülerinnen, wenn sie aus Auschwitz wiederkehren.

 

Dr. Karl Kühling, OStD i.K.

Schulleiter des Gymnasiums

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