Bericht vom Sozialpraktikum in der Förderschule Thymianweg
Am 08.06.09 begannen wir unser Sozialpraktikum an der Schule für LB (Lernbehinderte) Thymianweg.
Wir waren natürlich sehr gespannt auf unseren ersten Arbeitstag, schließlich hatten wir uns die Schule zwar selber ausgesucht, aber richtig wählen konnten wir nicht, da es ein Sozialpraktikum und kein Betriebspraktikum war. Von der Schule wurde uns ein Pool an Stellen zur Verfügung gestellt, aus dem wir wählen konnten.
Wir erwarteten eine völlig andere Welt.
An unserem ersten Tag in der Schule wusste erst ein Mal das Sekretariat nicht mehr, wer wir waren und warum wir überhaupt da waren, trotzdem wurden wir sehr freundlich empfangen und dank der lockeren Atmosphäre auch direkt einer Klasse zugeteilt.
Es waren eine siebte und eine achte Klasse mit Kindern zwischen 13 und 15 Jahren. Dies stellte für uns das erste Problem dar, denn wie soll man sich gegen nur 2-3 Jahre jüngere Kinder, von denen viele aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, durchsetzen?
Aber wie sich mit der Zeit herausstellte war das gar nicht so ein großes Problem wie wir zu Anfang dachten, da wir sowohl höflich und mir Respekt aufgenommen als auch älter eingeschätzt wurden. Die Kinder kamen gar nicht auf die Idee wir könnten weniger Autorität als die Lehrer haben.
Die Schüler auf dieser Schule sind zum Teil kurz vor der geistigen Behinderung aber zum Teil kommen sie auch einfach aus sozial schwachen Familien. Aus diesen Gründen kommen sie dann auf die Förderschule. Deutlich wird diese Behinderung vor allem an Unterricht und Unterrichtsstoff, da zum Beispiel die achte Klasse auf dem Lernstand der 2.-3. Grundschulklasse ist. Eine andere Schwierigkeit ist, dass die Kinder, mit von uns für selbstverständlich gehaltenen Dinge wie in ganzen Sätzen zu sprechen, sich mit fremden Leuten unterhalten zu können oder auch sich überhaupt in der Öffentlichkeit zu bewegen und zu benehmen, Probleme haben.
Sie brauchen Zeit sich an neue Menschen zu gewöhnen, doch dann werden sie meist sehr offenherzig und neugierig. Das ist eine Sache, die wir dort auch selbst erfuhren und die sehr schön war, weil sie viel erzählt haben und auch eine viel persönlichere Beziehung zu ihren Lehrern haben.
Am ersten Arbeitstag stand in der siebten Klasse gleich ein Ausflug bevor der ins mittelalterliche Köln ging. Es war erstaunlich wie interessiert die Kinder daran waren und wie viel Spaß sie dabei hatten. Der Höhepunkt des Tages war das gemeinsame Besteigen des Kölner Doms. Allerdings war es sehr anstrengend alle Kinder beisammen zu halten, obwohl die Klassen meist aus nur ungefähr 15 Schülern bestehen. Die Klassen sind so klein, da die einzelnen Schüler mehr Aufmerksamkeit brauchen und individueller gefördert werden müssen.
Der Ausflug nach Köln war keine Ausnahme, da circa ein Mal pro Woche ein Ausflug stattfindet, der für die Kinder sehr wichtig ist, um sich in das „normale“ Leben einzufügen und Alltagssituationen, die für sie oft ungewöhnlich aber für ihr weiteres Leben notwendig sind, zu trainieren. Besonders an der Schule Thymianweg ist, dass sie die einzige Förderschule in Köln ist, die ganztägig geführt wird. Der Schultag geht von 08.00 – 16.00 Uhr und ist in Blöcke von jeweils zwei Stunden, Freizeit und AGs aufgeteilt. Es wird keineswegs den ganzen Tag Unterricht gemacht, sondern der Ganztag ermöglicht es besagte Ausflüge zu unternehmen, den Kindern die zwischenzeitlichen Pausen zu geben, die sie benötigen um ihre Konzentration aufrecht zu erhalten oder aber auch gemeinsame Erfahrungen in der Klassengemeinschaft zu erleben. Beispielsweise wurde an einem Tag in der achten Klasse zusammen Pizza gebacken und gegessen. Das gemeinsame Mittagessen war ganz besonders und auch schwierig für die Kinder, da sie sich in einer Gruppe benehmen mussten.
Was wir erschreckend fanden, war der Umgang der Kinder miteinander und deren Wortschatz, der einerseits ziemlich begrenzt war aber andererseits auch ziemlich grob.
Unsere Aufgabe in der Klasse war es vor allem beim Bearbeiten ihrer Aufgaben zu helfen. Der Unterricht der dort stattfindet kann nicht mir unserem verglichen werden, da jeder Schüler einen eigenen Wochenplan mit individuellen Aufgaben hat. Wir wurden dann auch richtig gefordert, wir mussten Matheaufgaben nachgucken und seit langem mal wieder Kopfrechnen. Größtenteils wird in Arbeitsheften gearbeitet oder an Projekten wie zum Beispiel an einer Verfilmung einer vereinfachten Version des „Faust“. Bei solchen Projekten ist es interessant zu beobachten wie die Kinder miteinander arbeiten, was mal mehr und mal weniger gut funktioniert, wobei man ihnen anmerkt wie sehr sie sich bemühen und wie stolz sie auch über ihre Leistungen sind. Das mitzubekommen war wirklich toll. Ein solches Arbeitsverhalten wird natürlich auch auf dem Zeugnis honoriert, auf dem nicht wie bei uns Noten stehen, sondern ein vom Klassenlehrer angefertigter Text.
Andererseits konnten wir auch oft bemerken wie schwierig es für die Kinder ist eigenständig zu arbeiten, mit Gruppenarbeiten zu Recht zu kommen und sich über längere Zeiträume zu konzentrieren. Außerdem gibt es bei manchen Kindern eine Art Grenze, über die hinaus sie nicht mehr leisten können. Das war manchmal sehr frustrierend, wenn man ihnen manches einfach nicht beibringen konnte. Für uns war es mal eine ganz andere Erfahrung, dort zu sein, die uns viele positive Erlebnisse bescherte, die uns aber vor allem auch auf den Boden der Tatsachen holte. Wenn wir bedenken, dass wir uns „nur“ Sorgen über LK- Wahlen oder das Abitur machen, andere Menschen hingegen ohne Schulabschluss und somit ohne richtige Zukunftsperspektive sind, und aufgrund ihrer Behinderung oder Lebensverhältnisse nicht wirklich die Chance bekommen, dies zu ändern. Es war schockierend mitzubekommen, wie sie ihre Zukunft sehen. Auch wenn es eine realistische Vorstellung ist, finden wir es nicht normal, sich schon im Jugendalter als zukünftigen Hartz-IV- Empfänger zu sehen. Die meisten werden vorrausichtlich keinen Abschluss erwerben, außerdem gibt es für diese Menschen zu wenig Jobs. Das ist auch ein Problem, das uns erst seit dem Praktikum wirklich bewusst ist, und was geändert werden muss. Durch das Praktikum wurde uns außerdem klar, wie wichtig es ist, sie in die Gesellschaft mit einzubeziehen und ihnen Chancen auf ein gutes Leben zu bieten.
Aufgrund der vielen Erfahrungen, die wir gesammelt haben, finden wir das Sozialpraktikum auf jeden Fall sinnvoll und empfehlenswert. Vor allem weil es Erfahrungen waren, die wir sonst wahrscheinlich nie gemacht hätten, und die uns nun vieles mit anderen Augen sehen lassen. Natürlich war es auch oft anstrengend und unsere Geduld wurde viele Male auf die Probe gestellt, aber es hat sich gelohnt.
Joanna Grober, Hanna Genau Stufe 11